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Hamas – Angriff als „fataler Schlag für alle Friedenshoffnungen“


Am Laubach – Kolleg fand am vergangenen Montagabend ein Vortrag des israelischen Historikers Dr. Gad Arnsberg zu den aktuellen Geschehnissen in Nahost statt. Unter dem Titel „Israel – Was nun? Die unlösbare Lösung“ schilderte der in Tel Aviv wirkende Hochschullehrer für moderne europäische Geschichte und Direktor der Abteilung für Internationale Beziehungen am Akademischen Beit Berl College seine persönlichen Eindrücke und Einschätzungen zum Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober und die daraus resultierenden Folgen. Eingeladen hatten die Stadt Laubach und die Friedenskooperative Grünberg-Laubach-Mücke.

Kommissarische Schulleiterin Nadja Fuhr freute sich in ihrer Begrüßung über ein voll besetztes Atrium und die Möglichkeit, durch Dr. Arnsberg Innensichten zu den erschreckenden Bildern aus dem Kriegsgebiet zu erhalten. Stadtverordnetenvorsteher Joachim Kühn, der das Gespräch mit Arnsberg und die anschließende Fragerunde mit dem Publikum leitete, bezeichnete Dr. Arnsberg als ausgewiesen kompetenten Historiker, der sowohl die Geschichte des Nahost-Konflikts als auch die jüngsten Ereignisse mit persönlichen Erlebnissen verknüpfen könne. Das Gespräch fand im Rahmen des vom Bund geförderten Programms „Demokratie leben“ statt.


Dr. Arnsberg selbst schilderte zunächst, wie er am 8. Oktober morgens per Handy - Warn – App, die „jeder gute Israeli“ besitze, in Athen aus dem Schlaf gerissen worden sei. Er sei „in einem neuen historischen Kapitel aufgewacht“ und von der unermesslichen Brutalität des Überfalls auf die israelischen Zivilisten und Soldaten überrascht worden. Auch er habe in die Sicherungsmaßnahmen an der Grenze vertraut, für das Volk Israels seien der Überfall und das Massaker mit über 1200 zivilen Opfern und 256 getöteten Soldaten ein „kollektiver Schock, von dem sich die Gesellschaft über Jahrzehnte nicht erholen wird.“ Vor der Rückreise nach Tel Aviv habe er fünf Tage lang in Frankfurt Zwischenstation machen müssen und sei sich dabei der Kluft zwischen der „Hölle in Israel und dem davon völlig disparaten Alltag in Deutschland bewusst geworden“ – ein Umstand, den er nicht unbedingt als Vorwurf an die Bürger hierzulande verstanden wissen wollte. „Wir Menschen sind so, der Alltag muss weitergehen. Dennoch war das für mich schwer zu ertragen.“


In der Folge schilderte Arnsberg, der sich der israelischen Oppositionsbewegung zurechnet, die Zwei – Staaten – Lösung mit Palästina befürwortet und ein säkularer Jude sei, die Geschichte des Nahost – Konflikts seit dem Zweiten Weltkrieg. Er betonte, dass Israel nach seiner Gründung von den Palästinensern von Beginn an in Frage gestellt und 1948 schließlich auch angegriffen worden sei. Der Gaza – Streifen habe sich in der Folge trotz Bemühungen um wirtschaftliche Förderung und Zusammenarbeit „statt zu einem zweiten Singapur zu einer Schlangengrube“ entwickelt. Spätestens seit der Charta der Hamas von 1988 arbeite diese mit antisemitischen Verschwörungstheorien und entmenschliche die Juden als „Affen und Schweine“, für die hinter der Hamas stehende radikalislamische Muslimbruderschaft sei insofern ein Frieden mit Israel nie gewollt gewesen, sondern lediglich ein „zeitlich begrenzter Waffenstillstand“. Auch das oft im „Westen“ gelobte Abkommen von Oslo 1993, welches Israels Rückzug aus dem Westjordanland zur Folge hatte, habe nur zu einer Welle neuer Terrorakte und Anschläge geführt, um die angestrebte Zwei – Staaten – Lösung zu torpedieren, denn das auch heute noch auf vielen Demonstrationen verlautbarte Motto „From the river to the sea – Palestine will be free“ sehe eben gar keinen israelischen Staat mehr vor, dieser müsse nach Ansicht der Hamas vernichtet werden. Die Folge der Terrorakte sei wiederum ein aufstrebender Nationalismus in Israel gewesen, der 1995 zur Ermordung von Ministerpräsident Jitzchak Rabin geführt habe. Und auch danach habe eine wirtschaftliche Annäherung an den Gaza-Streifen, der seit 2007 von der radikalislamischen Hamas kontrolliert wird, nicht zu einem Ende des Terrors und der Bestrebungen, Israel zu vernichten, geführt.
Der Angriff der Hamas sei nun in jedem Fall ein „fataler Schlag für alle Friedenshoffnungen gewesen“, die Bedrohung für Israel sei unmittelbar und bestehe nicht nur im Gaza-Streifen, sondern auch im Westjordanland, in dem Hamas laut Umfragen bei der nächsten unabhängigen Wahl einen Sieg davontragen könne. Dass die Solidarität mit Israel nicht lange anhalten würde, sei ihm klar gewesen, so Arnsberg, der alle Maßnahmen der israelischen Regierung mit Nachdruck verteidigte. Wäre eine militärische Reaktion unterblieben, hätte dies eine „Immunisierung der Hamas“ zur Folge gehabt, also eine Ermutigung bedeutet, Israel weiter anzugreifen. Wahllose Bombardements und eine völlige Zerstörung des Gaza-Streifens würden aus humanitären Gründen zurecht abgelehnt. Demnach müsse man die nun stattfindende Evakuierung der Zivilbevölkerung binnen sechs Wochen als beste Lösung ansehen, um diese bestmöglich zu schützen und anschließend zugleich Hamas im Gaza-Streifen unschädlich machen zu können. Mit Blick auf die Kritik an Israels Vorgehen angesichts von Leid und Opfern der Zivilbevölkerung im Gaza – Streifen beklagte Arnsberg eine Täter – Opfer – Umkehr und verwies auf die Moralphilosophie Kants, nach der die Absicht einer Tat entscheidend sei, „nicht das Endergebnis“. Es sei unvermeidlich, etwa Strom und Wasser abzustellen, da diese auch von der Hamas genutzt würden. Insofern sei die Aufforderung zur Flucht an die Zivilbevölkerung das „Maximum“ an Schutz, das Israel bieten könne. Dass die Hamas derweil selbst keinerlei Interesse am Schutz ihrer Bevölkerung im Gaza-Streifen habe und statt Schutzräumen Tunnel für ihr Militär gebaut habe, zeige deren Haltung, Zivilisten als „Märtyrer“ für ihren Krieg zu missbrauchen. Im Rahmen der anschließenden, lebhaften Diskussion betonte Arnsberg, Toleranz setze Toleranz des Gegenübers voraus, da ansonsten die Vernichtung drohe. Ein „wehrhafter Frieden“ sei somit für Israel die einzige Existenzperspektive. Stadtverordnetenvorsteher Kühn bedankte sich abschließend bei Dr. Arnsberg und dem engagierten Publikum und sah sich mit Blick auf den Titel des Vortrags bestätigt: „Die Situation um Israel, mit dem wir uns innerlich solidarisch fühlen, erscheint als eine unlösbare Lösung.“

 

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